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News: Nervtötendes Nichtstun

Schlange stehen und warten kennt wohl ein jeder. Sei es an der Supermarktkasse, auf dem Flur des Einwohnermeldeamtes oder im Wartezimmer genannten Vorraum des Hausarztes. Gibt es keine Abhilfe? Offenbar nicht, wie Wissenschaftler mit mathematischen Methoden nun herausfanden. Denn lange Verzögerungen scheinen diesen Systemen in natürlicher Weise innezuwohnen, und mit kurzfristigen Maßnahmen ist dem Problem langfristig nicht beizukommen.
Wie viel Zeit verbringen wir im Laufe unseres Lebens wohl wartend in einer Schlange? Selbst am Telefon wird man mittlerweile häufig genug zum Ausharren genötigt – glücklich kann sich dann der schätzen, dem wenigstens die sich ewig wiederholende Pausenmelodie erspart bleibt, oder der zumindest eine kostenfreie Servicenummer gewählt hat. Das Paradebeispiel für Warten ist indes wohl der Arztbesuch. Hier darf der Geduldige in einem eigens dafür vorgesehenen Zimmer Platz nehmen, wobei ihm Zeitschriften die Zeit verkürzen sollen – was allzu häufig nur bedingt gelingt. Muss die Warterei sein? Lässt sich die Qual nicht lindern?

Diese oder ähnliche Fragen stellten sich offenbar auch Dominic Smethurst und H. C. Williams vom University Hospital in Nottingham. Sie warfen einen Blick auf die Wartelisten von vier Dermatologen, zu denen Patienten von ihren Hausärzten überwiesen wurden. Die Forscher untersuchten einen Zeitraum von sechs Jahren auf Verzögerungen zwischen Überweisung und endgültigem Termin beim Arzt. Wie nicht anders zu erwarten, änderte sich dieser Verzug stark, wobei sich eine Menge von Faktoren auswirkten: Die Anzahl überwiesener Patienten oder die Verfügbarkeit der Spezialisten sind nur zwei Beispiele.

Zunächst einmal erwarteten die Forscher, dass die Fluktuationen zufällig sind. Das heißt, es sollte einen wohl definierten Mittelwert geben, um den die Wartezeiten schwanken. Manche Patienten hätten dann halt Glück und müssten sich nur kurz gedulden, andere müssten hingegen lange auf ihren Termin warten. Smethurst und Williams fanden jedoch keinen Mittelwert – vielmehr stellten sie fest, dass die Streuung der Werte einer bestimmten mathematischen Beziehung zu folgen scheint – einem Potenzgesetz. Denn die doppeltlogarithmische Auftragung der Größe der monatlichen Flukutationen der Wartezeit über der Frequenz mit der sie auftraten, ergab annähernd eine Gerade.

Ein derartiges Verhalten ist gar nicht so ungewöhnlich und für komplexe Systeme geradezu typisch: Erdbeben folgen beispielsweise ebenfalls einer Beziehung auf Basis eines Potenzgesetzes. So hängen Stärke und Wahrscheinlichkeit eines Bebens voneinander ab. Preisänderungen, Wechselkurse und Entwicklungen der Wirtschaft sind andere Beispiele. Kennzeichnend ist jedes Mal, dass variable Teile des System miteinander wechselwirken und es verändern.

Solche Wechselwirkungen treten selbstverständlich auch bei den Wartelisten eines Arztes auf. Denn ein Patient, der zu lange warten muss, wird sich anderweitig umschauen; und ein Mediziner, der viel zu tun hat, wird versuchen seine Zeit so gut wie irgend möglich aufzuteilen. Was auch immer zu Verzögerungen und Wartezeiten führt, eine Eigenschaft solcher Systeme ist, dass sie sich weitgehend selbst organisieren. Das heißt, es macht offenbar nur kurzfristig Sinn, Kapazitäten auszubauen, um Engpässe zu vermeiden. Denn das System reorganisiert sich im Laufe der Zeit mit einer anderen Potenzgesetzverteilung, die zwar numerisch anders aussieht, sich aber qualitativ ähnlich verhält. Der nächste Stau ist somit vorprogrammiert.

Falls sich also Wartelisten tatsächlich gemäß eines Potenzgesetzes verhalten, sind sporadisch auftretende lange Wartezeiten unausweichlich. Sicher ist das allerdings noch nicht, da sich so ein mathematischer Zusammenhang nur schwer anhand kleiner Datensätze nachweisen lässt. Computermodelle von Wartelisten sollen endgültig klären, welche mathematische Gesetzmäßigkeit sich hinter ihnen verbirgt. Wenn auch die Aussicht darauf, dass Wartezeiten uns wohl nie erspart bleiben werden, ernüchternd ist, so mag doch folgendes trösten: Laut Smethurst und Williams ist ein System, das einem Potenzgesetz gehorcht, am leistungsfähigsten – auch wenn es manchmal klemmt.

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